Hier mit freundlicher Genehmigung vom Verfasser ein Leserbrief, der am letzten Montag in der GN veröffentlicht wurde. Dieser so treffend und auf den Punkt geschriebene Leserbrief spiegelt unsere Meinung wider und sollte euch nicht vorenthalten werden.
PS: Nur um Gerüchte vorzugreifen: Herr Kalus vertritt hier seine Meinung, die mit der unseren übereinstimmt, ist aber mit der IPG in keiner Weise verbunden.

Wem gehört die Stadt? – Zum Bauprojekt Kotthook, Nordhorn

Ja, der Weg zentraler gesellschaftlicher Themen ist weit zum Rand der Republik. Doch die Frage „Wem gehört die Stadt?“ hat es trotzdem in unsere beschauliche Mitte geschafft – politisch wie räumlich. Befördert hat dies eine Bauplanung am Kotthook, die weniger die Öffentlichkeit spaltet als die Kommunalpolitik: In bester Platz-da-jetzt-komm-ich-Manier drängt ein mächtiger Neubau in die erste Reihe, will einen der großartigsten Orte der Nordhorner Innenstadt besetzen.

Der Fall: Idyllische Lage am Wasser, unverstellbare Ausrichtung nach Süd und West, Blick auf Korn- und Sägemühle, auf Europaplatz und Südeingang zur City. Der Platz verlassen, das Haus im Verfall, die Vegetation wild wuchernd. Das Filetstück auf der Vechteinsel noch nicht „verwertet“. Vor Jahren der Eigentümerwechsel. Offenbar kein städtisches Vorkaufsrecht trotz größter städtebaulicher Bedeutung. Der Käufer engagiert einen Projektentwickler, einen Architekten. Bindet Politik, Verwaltung, sicherlich Banken ein. Das Ziel: Die Errichtung von 6 Luxuswohnungen für eine ausgesuchte Klientel. Das Problem: Die Dimensionen des Projektes erschlagen den Ort, ignorieren die Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans. Die Lösung: Eine politische Mehrheit davon überzeugen, dass dieses Projekt, das weder an diesen Ort noch in unsere Zeit passt, dem „öffentlichen Interesse“ entspricht. Sie deshalb dem neuen, auf das Vorhaben maßgeschneiderten Bebauungsplan zustimmt. Stand jetzt:

Fast am Ziel!

Das hat schon einmal geklappt: Ein geltender Bebauungsplan, ein Projekt, das auch nicht passen will. Also wird der Bebauungsplan passend gemacht. Am Weg zum Resum die Folgen zu besichtigen. Keine Chance für sich wehrende Anwohner, warnende Architekten und andere Fachleute die Katastrophe zu verhindern. Ihnen gegenüber die unbeirrbare Allianz von Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Dazu wenig öffentliches Interesse mangels Präsenz. Das Ergebnis nicht nur dort: Erschreckende Maßstabssprünge, unerträgliche Dichten, wachsende Zweifel an der Seriösität der Entscheidungen, Notkäufe freiwerdender Nachbarimmobilien, um ähnlichem Schicksal zu entgehen. Kein Trost, aber respektabel die Selbstkritik einiger Ratsmitglieder.

Der Fall Kotthook aber hat die interessierte Öffentlichkeit. Diese ist in ihren Äußerungen mehrheitlich kritisch. Die Haltung der Politik diesmal gespalten. Zustimmung von SPD und CDU, Ablehnung von Grünen, Pro Grafschaft und Linken. Vor Jahren aber einig in ihrer Forderung nach besseren Beurteilungsinstrumenten: Am Architekturmodell sehr gut zu sehen die räumliche Wirkung eines Projektes auf seine Umgebung. Aber in den öffentlichen Unterlagen zum Fall Kotthook ist nichts zu finden außer hunderte Seiten schönredendes Papier.

Deshalb hier der überschlägige Vergleich: Das geplante Gebäudevolumen ist mehr als zweieinhalbmal so groß wie die Kornmühle, gleicht der ehemaligen Deutschen Bank und nähert sich bedenklich der Wohnanlage am Weg zum Resum. Das bestehende Haus passt siebenmal hinein. Zur Beschwichtigung die Verniedlichung: 14 zimmerbreite Giebelchen verkleiden den Riesen als Zwergenburg. Anders ausgedrückt: Neben kraftvollen Nachbarn gerät die vermeintliche Tarnkappe zur baulichen Karikatur. Trotz Disneyland-Kostüm: Der Pseudo-Kleine will eben doch nicht nur spielen. Und ist auch noch trotzig. Fazit: Zu viel Masse, zu wenig Klasse!

Als wesentliche Ziele sind im Bebauungsplanentwurf betont: Der Erhalt der Ufervegetation und der „deutlich begrünte Blickbezugspunkt“ von Europaplatz und Kornmühle. Heute dort ein luftig grüner Gehölzvorhang mit Ein- und Ausblicken, wenn fachlich erst in Form gebracht. Doch für den Neubau fällt die grüne Wand auf ganzer Länge. Reste vom Kleinholz in den Grundstücksecken. Nahezu frei im Blick sind dann die überwiegend 3-geschossigen Ziegelfassaden: Kornmühle und Europaplatz sehen nur noch rot.

Mehr peinlich als tröstlich die Pflanzverpflichtung für eine doppelreihige Strauchhecke – in Art und Maß genau fixiert. Der verbleibende Uferstreifen leider zu schmal. Deshalb die neue Hecke ganz eng ans Haus geschmiegt. Die Folge: Fehlender Ausblick und Dauerverschattung. Das empfinden Bewohner einer Luxusimmobilie selbst im Klimawandel nicht als Wohnkultur. Am Ende werden es Stiefmütterchen – da klappt dann auch die Doppelreihe. Vergeblich gesucht die gepriesenen Gärten. Und nebenbei: Zartes Schuhwerk läuft nicht gern auf Rasengittersteinen. So wird der grüne Rest im Nachgang auch noch betoniert. Fazit: Der Begrünungsplan zu dürftig und nicht mal umsetzbar!

Nein, so hat der Neue keine Chance. Braucht er auch nicht. Denn es gibt etwas wirklich Großes: Das was ist. Im Blick der Öffentlichkeit viele Jahre lang der Verwahrlosung überlassen, ein einmaliges Ensemble: Im Zentrum die imposanteste Eibe Nordhorns als majestätische Skulptur, dazu als Landmarke eine alles überragende Lärche, stattliche Laubbäume, Rhododendren und vieles mehr. Die Gehölze etliche Jahrzehnte alt und ohne ihresgleichen in einer versteinernden Stadt. Von einer Ufermauer aus Sandsteinquadern geschützt ein Haus wie eine Remise: 6 verglaste Tore verbinden den Innenraum mit der Uferlandschaft der Vechte rund um das historische Wehr. Ein symbiotisches Ensemble mit kraftvollem Maß. Im respektvollen Dialog mit der Kultur von Korn- und Sägemühle. Ganz nah vor unseren Augen, doch nicht gesehen? Seit Jahren missbraucht als Mülleimer unserer Wergwerfgesellschaft. Und alles jetzt mal eben selbst entsorgt? Ein entschiedenes NEIN!

Vor zehn Jahren sieht sich die Stadtgesellschaft gefordert, ein Handeln im „öffentlichen Interesse“ anzumahnen. Bürger, die gegen allen Widerstand uneigennützig für den Erhalt eines Bauwerks, der Burgschule kämpfen. Daraufhin nimmt der Stadtrat seine Abrissfreigabe zurück und unterstützt den Umbau zu außergewöhnlichem Wohnraum. Im gleichen Jahr revidiert die Grafschafter Volksbank ihre Abrisspläne für zwei ortsbildprägende Villen. Ebenfalls nach dem Einspruch der Bürger. Und veranlasst die aufwändige Sanierung zu großartigen Baudenkmälern. Allen dafür Respekt und Dank.

Und heute? Offenbar wieder dringendst geboten: Aufstehen, Verantwortung übernehmen, Zeichen setzen! Am Kotthook. In „öffentlichem Interesse“ werden wir diesen Ort aufräumen und neu beleben für das einzigartige „Kulturdreieck Mühlendamm“: Kornmühle – Sägemühle – Atelierhof/Gästehaus. Die gemeinsame Visitenkarte von Nordhorner Park- und Baukultur auf der konsumgeprägten Vechteinsel. Statt eines widersinnigen Festungsbaus das einladende Entree zur fantastischen grünen Mitte mit Mühlendamm und Stadtpark. Wo zu jeder Zeit Leben stattfindet, auch wenn die Stadt im Krisenkoma liegt. Wer am Ende zig Millionen für eine folkloristische „Begrüßungszone“ mit Stadthafen bezahlen muss, weiß das einmalige Ensemble am Kotthook wertzuschätzen: Das Kulturdreieck ist der Identität stiftende Baustein der Wasserstadt am südlichen Eingang zur City. Die Unterstützung ist beeindruckend. Und Kapital hat sinnvollere Aufgaben als Zerstörung: Zukunft gestalten durch Um-Bauen. Mit Stadtvisionen wie „Urbanes Leben im Grünen“ in einem zum Klimahaus erweiterten Deutsche-Bank-Gebäude oder im öko-futuristisch aufgestockten Woolworth-Haus.

Die Stadt als Sitz des Gemeinwohls gehört ihren Bürgern. Und nicht nur am Kotthook werden sie die Werte ihrer Stadt schützen.

JA, wir haben dazugelernt!

Im Juni 2021 Michael Kalus